Solche Geschichte noch im Jahr 1980, ich fasse es nicht. Was mir sofort auffällt, Du hast ein extremes Detailgedächtnis, eigentlich schreibst Du auch sehr schön. Im Grunde steckt eine literarische Begabung dahinter, die Du nutzen solltest. Die Last der Erinnerung jetzt aber abzuschütteln, oder sogar ins Positive zu wandeln, ihnen Farbe zu geben, wird nicht einfach sein.
Der Tod deines Vaters schob offensichtlich eine sukzessive Kette von Ereignissen an, die sich wie eine aus lauter Einzelereignissen gedrehte Kordel ineinander verstrickten. Der Ursprungsdrall für das spätere Ausscheren im Leben liegt für mich aber offensichtlich im Mittenwalder Heim begründet, wo man dich in einer ungeheuer distanzierten und sadistischen Art und Weise der individuellen Rechte eines Kindes beraubte.
Was dir angetan wurde, kenne ich aus dem Seehospiz Norderney in den 60-er Jahren. Viele Kinder sind von der extremen Gefühlskälte und der Massenabfertigung in den Heimen und der daraus resultierenden Dauerangst im Leben gegenüber beliebigen Kleinigkeiten der Alltagsbewältigung traumatisiert. Die Ursache dieser „Depressionen, Angststörungen, Panikattacken und massiven Schlafstörungen“ liegt aber stets in den Heimen.
Auch wenn es dir schwer fällt, auch nur, wenn Du einigermaßen gefestigt bist, hier mein Vorschlag: Setze dich mit dem weißen Ring in Verbindung und lasse dir Fachleute vor Ort vermitteln. Letztlich solltest Du einen Weg finden, um die ehemaligen Verantwortlichen / Rechtsträger des Heimes in Mittenwald zumindest in ein Aufarbeitungsverfahren zu ziehen, auch wenn längst die Verjährung eingetreten ist. Bei dir ist es aber etwas anderes, die Ereignisse liegen nämlich „nur“ 39 Jahre zurück, viele der Angestellten dürften also noch leben. Möglicherweise kann dir eine gezielte Presse- und Medienarbeit helfen, gerade weil sich deine Geschichte, so traurig sie auch ist, als „Paradebeispiel“ für Missbräuche in den Heimen taugt.
Ich denke, dies ist sicher ein schwieriger Weg, um dich selbst aus deiner Opferrolle, die dir als Kind gegen deinen Willen aufgedrückt wurde, final zu befreien. Vielleicht schaffst Du es aber tatsächlich, zu deiner eigentlichen Stärke zu finden, die schon immer im verborgenen Teil deiner Person war. Du solltest dich also keineswegs dafür schämen, Du hast viele Nachteile erlitten. Du solltest auch Forderungen stellen, da Du unverschuldet immer noch viele Beeinträchtigungen im Alltag hast, sicherlich nicht zuletzt in deiner Erwerbsbiografie bis zur Rente. Zerre die Verantwortlichen an die Öffentlichkeit, das Recht hast Du dazu, noch ist Zeit dafür.
Gruß, Bruno