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Channel: Kommentare zu: Verschickungskinder
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Von: Tanja Hölscher

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Hallo zusammen,
nachdem meine Mutter 1981 einen Postbeamten geheiratet hat, kamen meine Schwester ( geb.1970) und ich ( geb.1972) in den Genuss über die Post „verschickt“ zu werden. Das erste Mal, ich war Carl.8 Jahre alt, waren wir in Bad Sooden. Dort wurden wir von Nonnen betreut. Wir waren im Grunde alle wegen Untergewicht dort, außer ein Mädchen, die war zu dick. Wir wurden regelrecht gemästet, und sie durfte nur das hauseigene Heilwasser trinken. Dort mussten wir auch immer Solbäder nehmen, was ich nicht sehr angenehm fand. Aber sonst kann ich sagen, dass es keine schlechte Zeit war. Unsere Eltern kamen uns sogar einmal besuchen und wir waren auch “ nur“ vier Wochen dort. Aber die Zugfahrt, die man alleine antreten musste, fand ich auch nicht angenehm.
Die zweite Kur war schon eine ganz andere Nummer…. Wir waren in Maquardstein, das ist im tiefsten Bayern ( wir kommen aus Lübeck, Schleswig-Holstein), eingeschlossen von riesigen Bergen. Die Heimleitung und die Erzieher waren wirklich gruselig und sehr herrisch. Ich kann mich noch erinnern, dass wir zuerst ein wirklich schönes Zimmer hatten. Dann bin ich krank geworden, eine schlimme Grippe und mit dem Wissen von heute muss es eine Nebenhölenvereiterung gewesen sein. Als ich morgens aufwachte, war mein ganzes Bett und meine geliebten Kuscheltiere voll mit blutigem Eiter. In der Nacht muss es aufgegangen sein und lief schön die ganze Nacht in mein Bett. Wir haben dann natürlich gleich Bescheid gesagt, aber frische Bettwäsche wurde mir verweigert, weil es noch nicht Zeit zum wechseln war. Dann, ich weiß nicht mehr warum, müssten wir das Zimmer wechseln. Wir kamen dann in eine Dachkammer, die wir mit einem Mädchen teilen mussten, die immer ihre Finger-und Fußnägel aß und ins Bett machte ( beide Geschäfte). Diese vier Wochen zogen sich wie Kaugummi.
Dann war meine Schwester 12 Jahre alt, und durfte nicht mehr mit. Ich fuhr dann nach Münsingen, was mir wirklich sehr gut gefallen hat. Ich kann mich noch erinnern, dass dort ein Mädchen war dass von ihrem Vater missbraucht wurde. Damit konnten wir Kleinen nicht viel anfangen. Aber ich fand es gut, dass man, trotzdem sie schon 15 Jahre alt war, sie dort aufgenommen hat.
Dann, als ich gerade 12 Jahre alt war, verstarb meine Mutter an Krebs. Es war eine sehr schwere Zeit für uns. Ich durfte ausnahmsweise dann auch in diesem Jahr noch an einer Kur teilnehmen. Ich bin nochmal nach Münsingen gefahren. Dort gab es etwas außerhalb einen kleinen Hof mit ein paar Tieren und wir hatten dort viele Freiheiten.
Wenn ich jetzt speziell an das Essen denke, muss ich ehrlich sagen, dass es überall nicht die Wucht in Tüten war. Aber ich kann mich nicht daran erinnern, dass es uns förmlich reingeprügelt wurde. Da waren die in den 80ern schon sichtbar weiter. Auch die Zeit war zum Glück kürzer, aber auch vier Wochen können lang sein.
Im Großen und Ganzen habe ich wohl mit meinen Einrichtungen Glück gehabt. Aber trotzdem hätte ich meinen Kindern das niemals angetan.
Bei mir steht jetzt gerade eine Reha an und ich dachte so über meine Kuren als Kind nach. Dann kam ich auf diese Seite. Aber ich arbeite gerade meine familiäre Vergangenheit auf und kann alle sehr gut verstehen die durch so etwas traumatisiert sind. Kann man sagen: sie wussten es nicht besser??? Ich glaube nicht…
Ich drücke allen die Daumen dass es besser wird
Liebe Grüße


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