Wir sind nicht allein! Das dachte ich im ersten Moment, als ich den Artikel über die Verschickungen gelesen hab.
Auch ich wurde verschickt, allerdings erst 1972, da war ich 9 Jahre alt. Es war das Haus Quisisana in Sankt Peter Ording. 6 schlimme Woche, nie vergessen, haben mich geprägt, aber auch im positiven Sinne. Auf dieser Verschickung habe ich mir geschworen, ich werde selbst Erzieherin, weil ich wollte, dass Kindern so etwas erspart wird.
Es wurde schon so einiges genannt, was in den Heimen getrieben wurde. Hier meine Erlebnisse:
Wir mussten uns direkt nach der Ankunft komplett nackt ausziehen, in einem großen Raum mit lauter anderen nackten Neuankömmligen in eine Schlange stellen. Wir wurden dann von einem Arzt untersucht, ob wir was Ansteckendes haben. Eine Schwester kämmte allen Kindern mit einem Läusekamm die trockenen Haare durch. Ich hatte Locken. Das tat weh.
Nachts durften wir nicht mehr auf Toilette gehen. Wer nachts musste, musste in einen Topf der unterm Bett stand pullern! Wir waren drei Mädchen im Alter von 9-11 Jahre. Da ist es einem peinlich vor anderen Leuten in den Topf zu machen.
Briefe wurden kontrolliert, wenn was falsches drin stand, zum Beispiel, dass man abgeholt werden möchte, wurden sie vor den Kindern zerrissen und in den Müll geworfen.
Zum Essen mussten wir uns alle am Tisch versammeln und erst einmal so lange stehen und leise sein, bis einer lachen musste oder den Stuhl scharrte. Derjenige wurde dann ohne Essen ins Bett geschickt. Ich konnte mich auch einmal nicht beherrschen und musste losprusten. Also ab ins Bett, ohne Essen.
Ein krankes Mädchen sollte einen Grießbrei essen. Ihr war schlecht, sie hatte einen Magendarm-Virus, wie nach und nach alle Kinder. Die Tante schrie das Mädchen an sie würde die Eltern anrufen, wenn sie nicht aufessen würde und ihnen sagen wie unartig sie ist. Dann müsse sie noch länger hier bleiben! Sie wurde nicht getröstet, weil sie krank war, sie wurde angeschrien! Das muss man sich mal vorstellen!
Ich bekam diesen Virus auch und musste mich übergeben. Da wir am anderen Ende des Flures unser Zimmer hatten, habe ich es nicht bis zur Toilette geschafft und auf dem Weg mehrere Pfützen hinterlassen. Ich war fix und fertig, eben krank! Da kam die „Tante“ mit dem Wischlappen und einem Eimer, gab ihn mir in die Hand und dann sollte ich meinen Dreck schön selbst aufwischen. Sie stand wie ein Wärter hinter mir und sagte mir wo ich noch besser wischen soll. Ich konnte gar nicht richtig sehen was ich dort tat, weil mir die Tränen die Augen vertrübten.
Ich kann mich nur an einen Spaziergang erinnern. Aber das war nur marschieren, nicht wie man sich einen Kinderspaziergang vorstellt. Zu zweit in Reih und Glied. Soviel zu Seeluft schnuppern!
Wir hatten eine Praktikantin in der Zeit, die hieß Frauke. Die war so lieb und hat uns so gut es ging geholfen. Sie sollte in mein Poesiealbum reinschreiben. Leider sah eine von den fiesen Tanten als sie es mir zurückgeben wollte und nahm mein Buch und schrieb ohne mein Einverständnis in das Buch und gab es mir erst kurz vor der Abfahrt wieder.
Das war 1972. In einem liebevoll geführten Kinderheim!
Nach der Fahrt wurden alle Kinder interviewt. Ich weiss nicht von wem die Leute waren, jedenfalls waren es die Erzieher die uns abgeholt haben und wieder nach Hause gebracht haben, mit der Bahn. Da kam so einiges raus. Ich weiss aber nicht, ob das zur Schließung oder zu Verbesserungen führte. Aber zumindest waren damals schon ein paar Leute an der Misere dran.